Jüdische Spuren

"Dr. Wilhelm Kollmann, MR, * Schaffa 7.5.1867 (mos.), Promotion 1898, anschl. KH-Ausbildung in Wien, ab ca. 1903 Gemeindearzt und Bezirksarzt in Haindorf, ab 1.4.1910 bis 31.5.1938 praktischer Arzt, Gemeindearzt und Bezirksarzt in Obritzberg, anschließend nach Wien 12 übersiedelt. Verheiratet mit Flora.

Quelle: Mitteilungen Dr. J. Griesmayer, Pf. Obritzberg: St.B. II (H?): EB 1938.“

So weit die ersten Informationen über Wilhelm Kollmann – entnommen dem Niederösterreichischen Ärztebuch. Weitere historische Spuren sind nicht sehr üppig für einen Menschen, der 28 Jahre Gemeindearzt in Obritzberg war. Die versuchte Auslöschung des Jüdischen durch die Nationalsozialisten zielte auch auf die historischen Spuren ab. Einiges ist trotzdem geblieben, wenn auch nicht durch offizielle Stellen der Gemeinde Obritzberg-Rust.

Bereits mit dem 18. März 1938 – sechs Tage nach dem Einmarsch der Nazis – wurde Kollmann als Gemeindearzt von Obritzberg seines Amtes enthoben und kurze Zeit danach musste er gemeinsam mit seiner Frau Flora nach Wien XII. in die Seumegasse Nr. 2 übersiedeln. Zur selben Zeit wurde er von der Vermögensverkehrsstelle aufgefordert, seine Vermögensverhältnisse offen zulegen. In diesem „Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April 1938“, das er auszufüllen hatte, führt Kollmann eine kleine Hausapotheke „stillgelegt infolge meiner Enthebung“ im Wert von 100 RM, weiters ein Reinvermögen von 416 RM, sowie 2 Newag-Aktien mit 20 RM und „Inventar und Instrumente“ in der Höhe von 416 RM an. Seine Sparguthaben bezifferte er mit 3450,37 RM. „Gegenstände aus edlem Metall, Schmuck- und Luxusgegenstände, Kunstgegenstände und Sammlungen“ führte er mit 60 RM an. Somit besaßen die Kollmanns zu diesem Zeitpunkt ein Gesamtvermögen von ca. RM 4.400,-. Dies entspricht zum jetzigen Zeitpunkt (2010) einem Wert von etwa € 17.600,-.
Am 8. August 1938 kam Kollmann in den 1. Bezirk in die Strauchgasse 1, wo er in der Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit seine Unterschrift unter diese Auflistung setzte.

Fast gleichzeitig teilte ihm die Arbeiterkrankenkasse mit, dass die Auszahlung der Rente in der Höhe von 48 RM wieder eingestellt wurde. So musste Kollmann von seinen Sparguthaben 500 RM beheben – zum eigenen Lebensunterhalt und zur Unterstützung seiner Kinder – wie er der Vermögensverkehrsstelle mitteilte. Am 17. November erhielten Kollmanns Kinder weitere 250 RM von seinen Sparguthaben. Schließlich erhielt er gemeinsam mit seiner Frau eine Altersrente von monatlich 4,50 RM (0,20 RM wurden als Krankenversicherungsbeitrag abgezogen).

Auf der Raiffeisenkasse in Obritzberg hatte Kollmann Spareinlagen in der Höhe von 1.446,41 RM. Die Ortsgruppenleitung der N.S.D.A.P. Obritzberg ließ die Sparguthaben sperren und die Dienstwohnung, die von den Kollmanns 28 Jahre genutzt worden war, auf Kosten dieses Kontos reparieren. Mit einem Schreiben vom 14. November 1938 wurde Kollmann davon in Kenntnis gesetzt. Mit 604,12 RM wurden die Reparaturen zum Abschluss gebracht und Kollmann erhielt die restlichen 935,88 RM im März 1939. Von diesem Betrag – so Kollmann „wurden 250 RM zu meinem Lebensbedarf u. zur Unterstützung meiner erwerblosen Kinder verbraucht“. Gegen Ende des Jahres waren die Sparguthaben beinahe zur Gänze aufgebraucht.

Von Wien nach Theresienstadt

Vorerst wohnte Dr. Kollmann mit seiner Frau in Wien in der Seumegasse 2/9 (12. Bezirk); danach im 20. Bezirk in der Traunfelsgasse 3/10. Am 20. Juni 1942 wurden sie gemeinsam in das tschechische Theresienstadt transportiert – benannt nach Maria Theresia, wo sie die Gefangenennummern 693 und 694 erhielten. In diesem Zeitraum kamen Tausende Juden aus Deutschland und Österreich in dieses Ghetto – meist alte Menschen, oder auch Personen mit besonderen Verdiensten, die sie sich erworben hatten. Die mitteleuropäischen Juden mussten sich den Aufenthalt in Theresienstadt selbst mit sogenannten "Heimeinkaufsverträgen" finanzieren. Alles in allem waren die Lebensbedingungen in diesem KZ nicht schlecht; die Nazis nützten dies sogar für einen Propagandafilm unter dem Motto „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Nach den Dreharbeiten kamen die Darsteller nach Ausschwitz. Derartige Deportationen – üblicherweise wurden die Lagerinsassen von Theresienstadt nach Treblinka gebracht – waren bei allen Lagerinsassen gefürchtet. Sie wussten, dass dies einem Todesurteil gleichkam.

Endstation Treblinka

Am 19. September 1942 wurden Dr. Kollmann und seine Frau mit der Bahn in das polnische Treblinka verfrachtet. Seit 1941 gab es das Straflager Treblinka, doch von Mai bis zum 22. Juli 1942 wurde im Rahmen der Aktion Reinhard das Vernichtungslager Treblinka errichtet. Neben den Lagergebäuden und den 3 Gaskammern wurde von der Eisenbahnstation ein Nebengleis zum Lager gebaut. Weiters waren riesige Gruben ausgehoben worden, die in der ersten Zeit als Massengräber dienten.
Neben dem Gleis und der Rampe war der "Umschlagplatz", ein eingezäunter Abschnitt mit zwei Baracken, wo die Neuankömmlinge ihre Kleider ablegen mussten. Hier befanden sich zwei große Lagerräume, wo die persönliche Habe der Opfer sortiert und aufbewahrt wurde. Im südöstlichen Teil befand sich der Bereich, in dem die Häftlinge ermordet wurden, vom deutschen Personal das "obere Lager" genannt. Das 200 mal 250 Meter große Gelände war vollständig eingezäunt und vom Rest des Lagers abgetrennt. Hier befand sich ein Backsteingebäude mit drei Gaskammern von je vier mal vier Metern Größe. In einem anschließenden Schuppen stand ein Dieselmotor, der das Kohlenmonoxyd für die Kammern produzierte. Das Gas wurde über Röhren an den Decken in die Gaskammern eingeführt, die wie Duschräume gebaut waren. Ein Flur führte zu den drei Gaskammern. Jede Gaskammer hatte eine zweite Tür, durch die die Leichen entfernt wurden. Östlich des Gebäudes, 150 bis 200 Meter von den Gaskammern entfernt, befanden sich die riesigen Gruben, in denen die Leichen vergraben wurden. Ein schmaler Pfad, auf beiden Seiten eingezäunt und mit Baumzweigen getarnt, führte vom Ankunfts- zum Vernichtungsbereich. Über diesen Pfad, "Schlauch" genannt, mussten die nackten jüdischen Häftlinge in die Gaskammern gehen.“1 Dies war der letzte Weg des Ehepaares Kollmann. Es gibt bis dato weder ein Bild von ihnen, noch konnte genau eruiert werden, wie viele Kinder sie hatten, bzw. wie diese mit Namen hießen.

Bei den Recherchen zu diesem Kapitel war auffallend, dass diese historischen Spuren trotz des kurzen Zeitabstandes gar nicht so leicht aufzufinden waren. Der damals bereits pensionierte Pfarrer Kopfschlägl hatte sich intensiv mit der Geschichte der Pfarre Obritzberg auseinander gesetzt - das Heimatbuch der Gemeinde Obritzberg bezeugt dies - und war seit 1945 hier ansässig, doch auf die Frage, ob es vor der Zeit der Nationalsozialisten in der Gemeinde Juden gegeben habe, antwortete er nach einer kurzen Nachdenkphase, dass er dies nicht wisse. In der Gemeinde gibt es - wie in vielen anderen Gemeinden auch - ein Kriegerdenkmal, doch irgend ein Hinweis auf die Existenz eines Gemeindearztes, der immerhin 28 Jahre in dieser Gemeinde tätig war und mit seiner Frau auf derart grausame Weise ums Leben kam, ist erstmals in dieser Arbeit thematisiert worden.


1) http://www.shoa.de
http://de.wikipedia.org/wiki/Reichsmark - 28.12.2010